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Fällt Gewicht ins Gewicht? Oder wie ist Gewicht zu gewichten?

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Fällt Gewicht ins Gewicht? Oder wie ist Gewicht zu gewichten?
Eine kritische Betrachtung der Rollstuhloptimierung

Wenn du gefragt wirst, ob Gewicht im Sinne von Ultra-leichten Adaptivrollstühlen eine Rolle spielt – Oftmals ein feinfühliges und sogar kontroverses Thema unter erfahrenen Rollstuhlversorgern – was ist dein erster Gedanke? Wenn du einen Moment Zeit hast, schreibe dir hierzu ein paar Notizen auf, bevor du den Artikel weiterliest.

Man wird sich leicht darüber einig, dass das Gewicht allein nicht ausschlaggebend ist. Ein Paper der amerikanischen Vereinigung RESNA sagt aus, dass die Konfiguration des ultra-leichten Rollstuhles essenziell ist für eine Maximierung von funktionellem Potenzial, Effizienz der Kraftübertragung und der abrufbaren Rollstuhlperformance.(5)
Wie erreicht man aber diese optimale Konfiguration? Um die Antriebseffizienz zu verbessern, fand Brubaker heraus, dass eine vorgesetzte Achsenposition durch eine bessere Gewichtsverteilung über dem Antriebsrad den Rollwiderstand verbessert.(1)
Ähnliches sagt auch der „PVA Upper Limb Preservation Guide“, dass die Achse so weit nach vorne wie möglich versetzt sein sollte, ohne dabei die Stabilität des Nutzers zu beeinträchtigen.(4)

Um eine optimale Konfiguration zu erreichen, sollten Therapeuten und Reha-Techniker darauf achten, den Masseschwerpunkt des Fahrers über dem Gleichgewichtsschwerpunkt des Rollstuhles zu balancieren. Diese Balance bietet dem Nutzer die nötige Stabilität, um über Kopfhöhe zu reichen und Alltagshandlungen auszuführen und gleichzeitig das Antreiben und die Reaktion des Rollstuhles zu erleichtern. Sitztiefe, die Höhe vom Boden zur Sitzfläche, Durchhang des Rückens, Rückenhöhe und Winkel und die horizontale und vertikale Achsposition werden darauf abgestimmt dem Nutzer funktionale Stabilität zu bieten.(5)
Außerdem ist es essenziell zu verstehen, welchen Einfluss Sitztiefe, Rahmenlänge und -winkel des Vorderrahmens auf die Basis des Rollstuhles und dessen Lenkrolleneinstellung haben. All diese Punkte spielen kombiniert eine Rolle in der Gewichtsverteilung und dem Fahrverhalten. Diese wichtigen Rahmenmaße werden detailliert in dem Kurs „Clinical Considerations for rigid wheelchair prescription“ erklärt. Amerikanischer Kurs!

Wenn einmal eine optimale Konfiguration für den Nutzer festgelegt wurde, ist es wichtig zu verstehen wie Rollstuhlkomponenten und die Materialwahl das Rollstuhlverhalten beeinflussen. Generell ist es wichtig, um das Gesamtgewicht zu minimieren, da ein höheres Gewicht den Rollwiderstand erhöht.(7) Der Rollwiderstand (Frr) ist die Reibungskraft die berechnet wird, indem man den Koeffizienten von Reibung (µRR) mit dem Gewicht (W) auf dem Rad multipliziert, Frr = µRR x W. (3)

Bei den wählbaren Rollstuhloptionen müssen Therapeuten und Reha-Techniker das Für und Wider der einzelnen Komponenten mit dem Nutzer abstimmen, um zu bestimmen, welche davon essenziell sind für die Bedürfnisse des Rollstuhlfahrers. Beispielsweise hat Ott et al. eine Studie zum Rollwiderstand verschiedener Reifen und Lenkräder erstellt. (3) Die Studie fand heraus, dass Antriebsräder mit Luftbereifung besser geeignet sind, um den Rollwiderstand zu verringern als feste Reifen ohne Luft, 4-5 Zoll Lenkräder sind besser als 8 Zoll. Tatsächlich betrug das wahrgenommene Gewichtsäquivalent für pannensichere Reifen ohne Luft im Vergleich zu Hochdruck-Luftreifen eine Zunahme von 43,5 kg, während das Gewichtsäquivalent für Reifen mit 40 % des maximalen Reifendrucks eine Zunahme von 16 kg betrug, was zeigt, dass "pannensichere" Einlage ohne Luft weniger vorteilhaft ist als ein Reifen, der Druck verloren hat.(3)

In Bezug auf die Materialien entwerfen Hersteller Ultra-leichte Rahmen und Komponenten aus Aluminium, Titan und Karbonfasern mit dem Ziel, das Gewicht zu reduzieren und gleichzeitig die Festigkeit, Haltbarkeit und Leistung zu erhöhen. Allerdings ist dank verbessertem Design und Technik, Unterschied zwischen dem Gewicht der Materialien eines modernen, ultraleichten Rollstuhles sehr gering und man ist sich nicht einig, welches Material das Beste ist. Ott legt nahe, dass das Materialgewicht nicht allzu sehr in den Vordergrund gerückt werden sollte, da die Gewichtsunterschiede nicht so gravierend sind, dass sie einen statistisch signifikanten Einfluss auf den Rollwiderstand haben.(3)

Wenn also alles gleich wäre, d.h. wenn Sie Rollstühle mit identischer Rahmengeometrie, Konfiguration und Komponentenauswahl vergleichen würden, wie würden Sie dann die Auswirkungen des Gewichts auf den Rollstuhlfahrenden bewerten?
Abgesehen von der Leistung des Rollstuhls müssen wir auch berücksichtigen, wie sich das Gewicht auf das funktionelle Potenzial eines Nutzers auswirken kann. Es gibt zwar keinen Konsens darüber, wie viel Gewicht statistisch gesehen für die Belastung der Schultern während des Antriebs signifikant ist, aber wir wissen, dass Fahrer, die einen Aktivrollstuhl selbst antreiben, ein Risiko für Verletzungen durch wiederholte Belastung (repetitive strain injury, kurz RSI) haben. Zu den Risikofaktoren gehören die Häufigkeit und die Kraft, die für den Antrieb erforderlich sind.(5)
Daher glaube ich, dass die Antwort auf die Frage, wie das Gewicht zu gewichten ist, beim individuellen Nutzer selbst liegt.

Obwohl wir uns oft um Forschung bemühen, um die Praxis zu optimieren, ist wissenschaftlicher Nachweis nicht immer verfügbar, und nicht jede Forschung passt zu den Gegebenheiten der Praxis.(2)
In diesem Fall ist es wichtig anzuerkennen, dass die Erfahrung des Rollstuhlfahrers und klinisches Fachwissen auch als Evidenz im Rahmen des Modells der evidenzbasierten Praxis (EBP) existieren und nicht ausgeklammert werden sollten.(6) In meiner Laufbahn habe ich viele Rollstuhlfahrer gefragt, ob das Gewicht eine Rolle spielt, und die große Mehrheit antwortete mit einem eindeutigen "Ja". Für diejenigen Fahrer, die die Konfiguration ihres Rollstuhls bereits optimiert haben und die Leistung ihres Rollstuhls noch verbessern wollen, ist das Gewicht ein wichtiger Faktor. Für einen Fahrer, der seinen Rollstuhl regelmäßig zusammenfaltet und in ein Fahrzeug verlädt, kann das Gewicht seine Unabhängigkeit beeinträchtigen.(5) Und für einen Fahrer, der aufgrund einer körperlichen Beeinträchtigung oder funktionellen Einschränkung keine optimale Gewichtsverteilung in seinem Rollstuhl erreichen kann, kann das Gewicht des Rollstuhls der einzige Faktor sein, der zur Verbesserung des Rollwiderstands übrigbleibt.

Letztendlich gewichte ich kein Gewicht. / Letztendlich fällt Gewicht für mich nicht ins Gewicht. Ich verstehe seine Anwendung und seine Auswirkungen und habe die Verantwortung, Rollstuhlnutzer aufzuklären. Der Rollstuhlfahrer bestimmt, ob das Gewicht seine Funktion, seine Unabhängigkeit und seine Lebensqualität beeinträchtigt.

Clinical Support Information Citations

  1. Brubaker CE. (1986). Wheelchair prescription: An analysis of factors that affect mobility and performance. J Rehabil Res Dev 23(4) :19-25, 1986.
  2. Green LW. Public health asks of systems science: to advance our evidence-based practice, can you help us get more practice-based evidence? Am J Public Health. 2006 Mar;96(3):406-9. doi: 10.2105/AJPH.2005.066035. Epub 2006 Jan 31. PMID: 16449580; PMCID: PMC1470512.
  3. Ott J, Henderson T, Wilson-Jene H, Koontz A, Pearlman J. (2021) A high prevalence of manual wheelchair rear-wheel misalignment could be leading to increased risk of repetitive strain injuries. Disability and Rehabilitation: Assistive Technology 0:0, pages 1-9.
  4. Paralyzed Veterans of America Consortium for Spinal Cord Medicine (2005). Preservation of upper limb function following spinal cord injury: a clinical practice guideline for health-care professionals. The journal of spinal cord medicine28(5), 434–470. https://doi.org/10.1080/10790268.2005.11753844 
  5. Rehabilitation Engineering & Assistive Technology Society of North America. (2022). RESNA Position on the Application of Ultralight Manual Wheelchairs. Retrieved from https://www.resna.org/Portals/0/Position%20Papers/RESNA%20Position%20on%20the%20Application%20of%20Ultralight%20Manual%20Wheelchairs.pdf?ver=D1H8hccXxkWkG6D73Gh6WA%3d%3d
  6. Hoogeboom TJ, Jette AM. (2021) Using Evidence Hierarchies to Find the Best Evidence: A Procrustean Bed? Physical Therapy, 101(11), https://doi.org/10.1093/ptj/pzab235
Sarah Leonard - Sunrise Medical USA

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PT, DPT, ATP - Clinical Education Manager

Sarah Leonard PT, DPT, ATP joins the Sunrise Medical Education Team as a physical therapist specializing in neuro rehab with experience in spinal cord injury and brain injury rehabilitation.

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